Doku-Tipp: „Mein Mann lebt als KI weiter“ – Wie künstliche Intelligenz unsere intimsten Beziehungen verändert

Was passiert, wenn künstliche Intelligenz nicht nur unsere Arbeit oder unseren Alltag, sondern auch unsere Beziehungen, unsere Liebe und unser Verständnis von Leben und Tod beeinflusst? Die ARD-Dokumentation „Mein Mann lebt als KI weiter“ taucht tief in diese spannenden und oft verstörenden Fragen ein.

Der Journalist Frank Seibert nimmt uns mit auf eine Reise in die Welt der künstlichen Intelligenz und zeigt, wie diese Technologie in die intimsten Lebensbereiche vordringt:

  • Michaels letzter Wunsch: Der an Krebs erkrankte Michael verbringt seine letzten Wochen damit, seine Erinnerungen und Gedanken aufzuzeichnen. Sein Ziel? Nach seinem Tod als KI-Zwilling weiterzuleben. Begleitet von seiner Frau Anett, entsteht ein digitales Abbild, mit dem Anett auch nach Michaels Tod kommunizieren kann.

  • Beziehungen mit KI: Frank trifft Menschen, die romantische Beziehungen zu KI-Partner*innen führen – von einem jungen Mann, der nach langer Suche auf eine KI-Freundin setzt, bis hin zu einem Mann im Silicon Valley, der polyamorös mit mehreren KI-Charakteren lebt.

Was macht diese Doku so besonders?

Frank Seibert spricht nicht nur mit Betroffenen, sondern auch mit Expert*innen, die die technischen, psychologischen und ethischen Dimensionen dieser Entwicklungen beleuchten:

  • Kenza Ait Si Abbou Lyadini, Ingenieurin, erklärt die technischen Grundlagen, die solche täuschend echten KI-Abbilder ermöglichen. (Tipp: Ihr Buch “Menschenversteher – Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert” aus dem Jahr 2023 ist lesenswert.)

  • Bertolt Meyer, Psychologe, beleuchtet, wie solche Technologien unser Selbstbild, unsere Beziehungen und unsere Gesellschaft verändern könnten.

  • Alena Buyx, Ethikerin, diskutiert die moralischen Herausforderungen, die entstehen, wenn wir digitale Abbilder von Verstorbenen oder KI-Partner*innen erschaffen.

  • Rob LoCascio, CEO des Start-ups, dessen Business auf dem Erstellen von KI-Zwillingen basiert. Er ist überzeugt, dass das Wesen eines Menschen für die Ewigkeit digital bewahrt werden kann und alle Menschen irgendwann KI sein werden.

Ein neuer Player in der Kommunikation?

Im Zentrum des Dokumentarfilms steht die Frage, wie künstliche Intelligenz die Art, wie wir kommunizieren, verändert:

  • Mit Verstorbenen sprechen: Michaels digitale Existenz soll Anett Trost spenden. Doch bleibt diese Art von Kommunikation ein Dialog, oder ist es nur eine Illusion von Nähe?

  • Gefühle für Algorithmen: Wenn romantische Beziehungen mit KI möglich sind, was macht dann eine Partnerschaft aus? Ist es die Kommunikation, die Zuneigung oder das Zusammensein?

  • Gesellschaftliche Auswirkungen: Wenn wir uns an KI-basierte Gespräche gewöhnen, könnte das unsere Art zu sprechen und zuzuhören langfristig verändern. Verlernen wir das Zwischenmenschliche?

Meine Gedanken dazu

Es ist spannend zu beobachten, wie KI in den Bereich von Partnerschaften vordringt. Eine KI-Partnerschaft scheint auf den ersten Blick viele Vorteile zu bieten: Sie ist genau auf die eigenen Wünsche zugeschnitten, immer verfügbar, wenn man sie braucht, und stellt keine eigenen Ansprüche. Doch was könnte diese Einfachheit mit uns machen? Echte Beziehungen – zu Menschen – sind oft herausfordernd, aber gerade diese Herausforderungen lassen uns wachsen und fördern unsere persönliche Entwicklung. Könnte eine KI, die keine Konflikte oder Bedürfnisse hat, uns langfristig isolieren? Und wie verändert sich unser Blick auf Beziehungen, wenn wir uns an diese Bequemlichkeit gewöhnen?

Der Gedanke, mit einem verstorbenen Menschen durch eine KI weiter sprechen zu können, ist faszinierend – vielleicht sogar tröstlich. Aber wie beeinflusst eine solche Möglichkeit den natürlichen Prozess des Loslassens? Trauer ist schmerzhaft, doch sie hilft uns, Abschied zu nehmen und uns neu auszurichten. Eine Trauer-KI (Greef-AI), die die Stimme oder Erinnerungen eines Verstorbenen imitiert, könnte diesen Prozess erschweren. Bleiben wir durch sie in der Vergangenheit gefangen, oder könnte sie – richtig eingesetzt – helfen, den Verlust besser zu verarbeiten?

Ein weiterer Aspekt, der mich in Zusammenhang mit Trauer-KI beschäftigt, ist die Frage nach Zustimmung. Wenn KIs ohne das Einverständnis der Verstorbenen erstellt werden, empfinde ich das als ethisch problematisch. Nicht jeder Mensch würde wollen, dass seine Persönlichkeit oder seine Daten nach dem Tod „weiterleben“. Und selbst wenn jemand bewusst eine KI von sich für Hinterbliebene – etwa für die eigenen Kinder – erstellt, bleibt die Frage: Ist das wirklich hilfreich? Wollen die Hinterbliebenen überhaupt in dieser Form mit dem Verstorbenen in Kontakt bleiben, oder könnte es für sie belastend sein? Für mich hat das etwas Übergriffiges, da es in die Trauer und die persönliche Verarbeitung anderer eingreift.

Die Idee, einen KI-Zwilling zu erschaffen, wirft für mich spannende, aber auch tiefgreifende Fragen auf. Was bedeutet es, wenn ein Mensch als digitales Abbild für die Ewigkeit “weiterlebt”? Geht es dabei um Trost für Hinterbliebene – oder vielmehr um die Illusion eines ewigen „Lebens“ für den geklonten Menschen? Vielleicht zeigt dieser Wunsch nach digitaler Unsterblichkeit, wie schwer wir uns mit der Endlichkeit des Lebens tun. Doch was bleibt tatsächlich von einem Menschen, wenn nur noch Daten, Erinnerungen und Algorithmen erhalten sind? Bleibt eine Persönlichkeit, oder entsteht ein künstliches Abbild, das zwar wirkt wie der Mensch, aber nie wirklich „er“ oder „sie“ ist? Wem soll der Klon dienen? Wie lange besteht Interesse daran? Es gibt keine "ewige Relevanz”… Irgendwann rückt jede Generation in den Hintergrund, um Platz für die nächste zu machen. Nach spätestens drei Generationen sind wir alle vergessen… Das muss in meinen Augen so sein, damit Neues entstehen kann. Wenn wir digitale Klone schaffen, die ewig existieren, könnte das den natürlichen Übergang zwischen den Generationen stören. Ist das wirklich Fortschritt – oder lenkt es uns von der Frage ab, was es bedeutet, im Leben Spuren zu hinterlassen, die nicht auf Ewigkeit, sondern auf Bedeutung im Hier und Jetzt zielen?


Die Doku regt zum Nachdenken über die Rolle von Technologie in unseren Beziehungen, in der Trauer und in unserem Verständnis von Leben und Tod an. Was macht uns als Menschen aus? Was wollen wir hinterlassen? Und wie können wir den Fortschritt nutzen, ohne den Blick auf das Wesentliche zu verlieren?

Lass dich inspirieren und bilde dir deine eigene Meinung. Die Doku eine intensive, spannende Reise, die zum Diskutieren einlädt. Am 20. Januar 2025 kannst du sie um 23.05 Uhrbei Das Erste im TV sehen. Oder du schaust sie online in der Mediathek der ARD (online bis 06.01.20.


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