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Bücherberg-Rezension: Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung (Philipp Blom)

Darum geht es in diesem Buch

Philipp Blom ruft in seinem Buch Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung (2023) zu einem radikal neuen Denken auf. Inmitten von Klimakrise, gesellschaftlichen Spaltungen und wachsender Unsicherheit stellt er die provokante Frage: Können Demokratie, Menschenrechte und evidenzbasiertes Denken überleben, wenn wir nicht eine neue, planetarisch gerechte Lebensweise entwickeln? Der Wiener Schriftsteller und Historiker plädiert für eine Aufklärung, die sich von veralteten Prägungen löst und den Fokus auf das menschliche Wohlergehen legt – im Einklang mit der Natur.

Darum habe ich dieses Buch gelesen

Philipp Blom hat mich bereits beim Sustainable Switzerland Forum 2024 beeindruckt. In seiner Keynote hinterfragte er die Krise des liberalen Projekts und stellte eine scharfsinnige Frage: Was nützt Nachhaltigkeit ohne Demokratie? Besonders seine Forderungen nach demokratischen Reformen wie Bürgerräten und einer nachhaltigen Demokratie haben mich zum Nachdenken gebracht.

In meiner Arbeit als Kommunikationsberaterin erlebe ich täglich, wie entscheidend es ist, dass Menschen sich als aktive Gestalter:innen begreifen – sei es in Unternehmen oder in Gemeinschaftsprojekten. Bloms Aufruf zu einer neuen, gerechteren Lebensweise berührt mich beruflich und persönlich. Denn auch ich suche nach Wegen, wie wir durch Kommunikation eine bessere Zukunft gestalten können – gemeinsam.

Das nehme ich mit

Sich freiwillig von der Realität abschotten?

  • Die Verdunkelung unserer Zeit ist nicht optisch – wir leben umgeben von hellleuchtenden Bildschirmen. Sie ist kognitiv und oft freiwillig. Viele entscheiden sich bewusst, unbequeme Realitäten auszublenden.

  • Eine neue Aufklärung soll uns helfen, die Augen für die wahre Welt zu öffnen – auch wenn das schmerzt. Ohne einen klaren Blick auf die Realität gibt es weder Gerechtigkeit noch Handlungsfähigkeit. In Zeiten der Klimakrise ist das eine besonders gefährliche Haltung.

Die neue Aufklärung: Wir sind Natur!

  • Die Kernbotschaft der neuen Aufklärung lässt sich einfach zusammenfassen: Es gibt nichts ausserhalb der Natur – wir sind Natur. Alle Organismen sind Teil komplexer, voneinander abhängiger Systeme.

  • Auch der menschliche Körper ist ein vernetztes Ökosystem. Er enthält mehr nicht-menschliche Zellen als menschliche. Der Mensch ist weder souverän noch isoliert. Er ist ein Lebewesen, das ständig mit seiner Umwelt interagiert.

  • Unsere Ziele und Verhaltensweisen ähneln anderen Organismen mehr, als wir denken. Unser Bewusstsein ist nur eine von vielen Formen der Intelligenz auf der Erde. Der dramatische Rückgang der Fauna gefährdet dieses fragile Netz. Wenn zu viele Verbindungen reissen, riskieren wir den Zusammenbruch unserer eigenen Lebensgrundlage.

  • Geld unterbricht oft unser Bewusstsein für die Verbundenheit zwischen Menschen, da es soziale Beziehungen durch Zahlungen ersetzt. Doch ob wir es wollen oder nicht, wir sind und bleiben Teil des grossen Ganzen. Unser aller Schicksale sind verbunden.

Denken im Kontext der Zeit

  • Jede Art, die Welt zu begreifen, ist ein Produkt ihrer Zeit. Niemand kann sich vollständig von den historischen Einflüssen und der Sprache seiner Epoche lösen.

Der freie Markt existiert nicht

  • Märkte sind eng mit der Gesellschaft und ihren Werten verbunden. Sie sind keine autonomen Systeme, sondern abhängig von den sozialen Strukturen, in denen sie existieren. Gleichzeitig fördern sie Innovation, Wohlstand und Vielfalt.

Aufklärung beginnt mit der Entlarvung unserer Lebenslügen.

  • Aufklärerisches Denken bedeutet, die Lebenslügen der Gegenwart zu erkennen und hinter sich zu lassen. Diese Illusionen mögen trösten, doch gerade in Krisenzeiten blockieren sie sinnvolles Handeln.

  • Menschen, die an solchen Illusionen festhalten, sehen sich oft als Opfer oder glauben, noch alle Möglichkeiten offen zu haben – bis die Realität sie einholt.

Freiheit, Autonomie und ungenutzte Möglichkeiten

  • Freiheit heisst nicht, tun zu können, was man will. Autonomie bedeutet nicht völlige Unabhängigkeit, denn vieles liegt ausserhalb unserer Kontrolle. Obwohl im globalen Norden die Freiräume so gross sind wie nie zuvor, bleiben sie oft ungenutzt – “wie Parks, in die niemand geht”.

Der Möglichkeitssinn

  • Der Wirklichkeitssinn hilft uns, die Realität zu bewältigen. Der Möglichkeitssinn geht darüber hinaus: Er lässt uns erkennen, dass alles auch anders sein könnte. Er ist die Fähigkeit, Alternativen zu sehen und das Mögliche genauso ernst zu nehmen wie das Wirkliche. (Mehr dazu im Blogbeitrag „Wirklich? Möglich!“)

Rechte für Ökosysteme – ungewohnt, aber nicht unlogisch

  • Die Idee, einem Fluss Rechte zuzusprechen, mag ungewohnt erscheinen. Doch sie ist nicht künstlicher oder unsinniger als die Vorstellung, eine Firma als Rechtsperson anzuerkennen.

Wie Worte unsere Gedanken lenken

  • Sprache formt nicht nur unsere Gedanken, sondern zwingt uns auch, die Welt auf eine bestimmte Weise zu interpretieren und wahrzunehmen. Jedes Wort trägt eigene Assoziationen, Geschichten und Bedeutungen, die unsere Wahrnehmung prägen und beeinflussen.

Warum wir so an alten Vorstellungen hängen

  • Unsere Erwartungen sind oft linear. Wir nehmen an, dass die Zukunft der Gegenwart ähnlich sein wird. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass sie völlig anders sein könnte (mehr dazu im Blogbeitrag “Wirklich? Möglich!”).

  • Diese lineare Wahrnehmung von Entwicklungen ist bei vielen Menschen tief verankert und entspringt individuellen Überzeugungen und Bedürfnissen. Ein Wechsel der Perspektive kann deshalb emotional herausfordernd sein. Er ist aber nötig, um sich auf neue Möglichkeiten einzulassen.

Technologische Evolution überholt biologische Evolution

  • Unsere Technologie entwickelt sich schneller, als wir in der Lage sind, damit umzugehen.

  • Über die letzten drei bis vier Generationen hat sich das Verhältnis zwischen Aufmerksamkeit und Informationsmenge umgekehrt. Dieser Wandel führt zu einer regelrechten Informationsüberlastung, die oft in einem ständigen Gefühl der Überforderung resultiert.

Ein Buch für dich?

Dieses Buch ist für alle, die an gesellschaftlichen und ökologischen Fragen interessiert sind – für Menschen, die sich nicht nur mit den Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen, sondern auch mutig nach neuen Wegen suchen. Besonders spannend ist es für alle, die sich für Demokratie, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit stark machen möchten.

Meine liebsten Textstellen


Was denkst du?

Hast du Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung schon gelesen oder interessiert dich das Thema? Teile deine Gedanken in den Kommentaren. Lass uns gemeinsam diskutieren, wie wir als Gesellschaft neue, gerechtere Wege finden können.

Wenn dir diese Rezension gefallen hat, stöbere gerne weiter im Bücherberg-Blog – hier findest du viele inspirierende Bücher und Ideen für eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft.